Wie eine Desensibilisierung Pferd und Mensch helfen kann

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In diesem ausführlichen Artikel erfahren Sie alles wissenswerte darüber wie eine Desensibilisierung Pferd und Mensch helfen kann..

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Pferde sind von Natur aus ängstliche Fluchttiere. Häufig tragen sie noch genetische Angst-Muster in sich, die im Umgang mit dem Menschen und in seiner Obhut störend und eigentlich überflüssig sind. Wenn eine Desensibilisierung Pferden solche Ängste nimmt, profitieren Mensch und Tier gleichermaßen. Dasselbe gilt natürlich auch für individuelle Ängste, die Pferde im Laufe ihres Lebens erlernt haben.

Welche Ängste kommen bei Pferden häufig vor?

Typische Trigger für Ängste und Überreaktionen bei Pferden sind:

  • Laute Geräusche
  • unbekannten Erscheinungen (auch fremde Menschen)
  • Traktoren, Autos, Fahrräder, Kutschen
  • schwer überschaubare Umgebungen
  • Einfangen und Gerittenwerden
  • Sattel-, Zaumzeug, andere Ausrüstungsgegenstände
  • Flatternde Fahnen oder Plastikfolien von Weidezelten u.ä.
  • Wind, Sturm, Kälte und Unwetter
  • Enge
  • eingeschränkte Bewegungsfähigkeit.

Ängste und Angstreaktionen des Pferdes verstehen

Pferde sind Fluchttiere und verfallen bei einem Trigger sehr schnell in den Kampf- oder Fluchtmodus. Dieser wird bei Säugetieren von der Amygdala im Reptilienhirn gesteuert. Der Mechanismus entscheidet blitzschnell, ob ein Lebewesen in einer bedrohlichen Situation die Flucht ergreift, einen Angreifer oder eine Situation bekämpft oder erstarrt (Freeze-Modus).

Pferde haben wie viele andere Beutetiere nur bedingte Verteidigungsmöglichkeiten, dafür aber schnelle Beine für die Flucht. Wird das Pferd auf der Flucht in die Enge getrieben, wehrt es sich durch Tritte, Beiße und Steigen. Sieht es keinen Ausweg mehr, erstarrt es und lässt das Schicksal über sich ergehen.

In längst vergangenen Zeiten waren Pferde Beutetiere für Raubkatzen, Hyänen, Wölfe und später auch für Menschen. Die gesteigerte Vorsichtig und Aufmerksamkeit eines Beutetieres sind trotz tausenden Jahren der Domestizierung erhalten geblieben.
Eine der Hauptaufgaben des Menschen ist es bis heute, Pferden möglichst viele dieser Angst- und Fluchtmechanismen zu nehmen, das Vertrauen der Tiere zu bekommen und sie an diverse Umstände im Zusammenleben mit uns zu gewöhnen.

Alltags-Ängste bei Pferden

Die Mechanismen aus Übervorsichtigkeit, leichter Reizbarkeit, Angst und Flucht-Kampf-Erstarrung sind überall im Alltag mit Pferden zu finden. Der Reiter kommt mit dem Halfter auf die Koppel, das Pferd hat keine guten Erfahrungen mit Menschen oder dem Reiten gemacht beziehungsweise ein Trauma erlitten: Zuerst haut es ab, dann kämpfen mache Pferde oder sie erstarren und kommen widerwillig mit.

Witterung

Es ist windig und die Planen der Weidezelte flattern. Das Pferd erschrickt, zieht am Strick, möchte fliehen. Kann es das nicht und können Sie das Pferd nicht beruhigen, kann es zu einem Kampf oder dem Erstarren durch Verweigerung der Weiterbewegung kommen.

Sie füttern eine Pferdeherde auf der Weide. Alle Pferde haben sich um die Futterstelle versammelt, dann knallt es im Umfeld. Die Pferde fliehen im Verband und bringen sich in die sogenannte Fluchtdistanz. Dort drehen sie sich um und verschaffen sich ein Bild darüber, ob der Angreifer noch hinter ihnen her ist oder was überhaupt passiert ist.

Ein Schulpferd, das seit Jahren nicht richtig behandelt und schlecht geritten wird, steht abwesend in der Box, wirkt auch beim Herausführen nicht wirklich präsent und leiert in der Reithalle das „Programm“ herunter: Dieses Pferd ist aufgrund dauerhafter Überreizung, Ängsten und Resignation in einen dauerhaften „Freeze-Modus“ gefallen.

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Faktoren, die Ängste begünstigen

Zum einen hängt die Tendenz zu Flucht und Angst von der Tierart, der Rasse und dem Pferdetyp ab. Hochblütige Pferde sind von Natur aus etwas schreckhafter und hibbeliger, weil sie ein feineres Nervensystem haben. Dieses Nervensystem leitet Impulse ganz anders, als das eines Islandpferdes oder eines gemütlichen Süddeutschen Kaltblutes.

Neben Veranlagungen der Elterntiere, insbesondere der Mutter, kommen Kindheitserlebnisse des Pferdes dazu. Was ein Pferd in den ersten sechs Wochen bis sechs Monaten seines Lebens lernt, prägt eine Art Reaktions-Landkarte ins Gehirn, die später mühsamer umtrainiert werden muss, als später erlernte oder angenommene Ängste.

Gruppendynamik

Bei Pferden darf auch die Gruppendynamik nicht unterschätzt werden. Pferde geben Stimmungen untereinander weiter, lernen aber auch voneinander. Wie das Beispiel mit der Koppel gezeigt hat, fliehen sie grundsätzlich in der Gruppe. Wahrscheinlich würde in einem solchen Moment selbst das stoischste Pony, das sonst nicht zu Schreckhaftigkeit neigt, aufgrund der Gruppenkraft zumindest ein paar Meter mit den anderen Pferden fliehen.

Eine Überfütterung mit Kohlenhydraten und Zucker (Getreide, manche Gräser, aber auch zu viel süße Leckerli) begünstigen die Areale des Nervensystems, die mit Überreaktionen in Verbindung stehen. Pferde, die einmal ein Trauma erlebt haben und als Fohlen oder in der Ausbildung schlecht behandelt wurden, neigen später eher dazu, mehr Ängstlichkeit und Unsicherheiten anzuhäufen. Pferde, die stark verspannt sind, neigen ebenfalls mehr zu Ängstlichkeit und zu Überreaktionen als entspannte Tiere. Dasselbe gilt für Tiere, die ständiger Reizüberflutung (Lärm, wechselnde Stellplätze, Stallgenossen, Menschen, Reitweisen, Ausbildungsziele) ausgesetzt sind.

Wie gelingt die Desensibilisierung Pferd?

Hat ein Pferd eine typische Furcht, gibt es zu dieser eine Datenautobahn im Gehirn und im Nervensystem. Diese wirkt wie ein Shortcut. Kommen mit dieser Angst verbundene Reize im Gehirn an, werden der Angstmechanismus und Flucht-Kampf-Freeze schneller (Kurzschluss) ausgelöst. Es findet kein Abwägen und Überlegen mehr statt: Die Reaktion folgt unmittelbar auf den Reiz. Bei einem grundsätzlich ängstlichen, traumatisierten oder überreiztem Pferd müssen Sie zunächst ein Grundmaß an Vertrauen aufbauen. In der Praxis bedeutet dies, das Nervensystem durch sofortiges Stoppen der Reizüberflutung zu entspannen.

Vertrauen aufbauen

Nach der Entspannung müssen Sie Vertrauen aufbauen, um die Bereitschaft des Pferdes, Neues zu lernen, zu erhöhen:

  • verlässliche Strukturen
  • ruhiges Training
  • sanfte und doch sichere Führung.

Danach geht es langsam an die Desensibilisierung bestimmter Ängste und Reizmuster: Plastik, laute Geräusche, Traktoren usw. „De-Sensibilisierung“ bedeutet, eine Überempfindlichkeit aus den neuronalen Reaktionsmustern zu entfernen und durch ein neues Verhalten zu ersetzen.

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Alte Methoden

Dazu werden Pferde den auslösenden Reizen ausgesetzt. Früher ging man nach diesen beiden Methoden vor:

  • Gewöhnung: Dem Pferd wird z.B. der Sattel immer wieder in sich langsam steigernden Intervallen aufgelegt, bis es sich daran gewöhnt hat.
  • Aussacken: Beim Aussacken würde ein Ausbilder dem Pferd den Sattel einfach auslegen, festgurten und ihn so lange auf dem mitunter auch wild bockenden und sich wehrenden oder davonrasendem Pferd liegen lassen, bis es seinen Widerstand aufgibt.
    Das Aussacken wurde traditionell benutzt, wenn Gewöhnung keine Erfolge zeigte, ein Pferd sehr widerspenstig war oder der Ausbilder keine Zeit für eine langsame Gewöhnung hatte.

Neue Methoden

Heute arbeitet man im Bereich der Pferdesensibilisierung mit verfeinerten Techniken:

  • Langsame Bekanntmachung: Der neue Sattel liegt zuerst einige Tage bis Wochen im Umfeld des Pferdes oder sogar eine Zeitlang in der Box. Das Pferd kann sich ohne irgendeinen Druck in seinem entspannten Umfeld an das unbekannte Ding gewöhnen (Riechen, Berühren, Tasten).
  • Verfeinerte Körperdesensibilisierung: Dabei gehen Sie mit dem Sattel (oder einem anderen Trigger) mehrmals um das Pferd herum, bevor sie die empfindliche Rückenpartie (dort packen die Raubtiere zu) damit konfrontieren. Es wird mit dem Gegenstand an verschiedenen Körperregionen berührt und abgetrichen. Dadurch lernt das Pferd, dass der Sattel nicht beißt und nicht gefährlich ist.
  • Umgekehrter Psychologie: Vor allem ältere oder sehr kluge Pferde kennen ihre Besitzer genau. Sie haben blitzschnelle und sehr routinierte Reaktionssysteme. Die können sie öffnen, indem Sie sich ganz anders als gewohnt verhalten: Sie kommen mit dem Sattel und das Pferd rechnet mit einer Gewöhnungs-Session. Dann legen sie den Sattel plötzlich auf den Boden, nehmen ihr Pferd und brechen stattdessen zu einem gemeinsamen Spaziergang auf.

Alle diese Techniken dienen dem einen Ziel, genetisch vorprogrammierte Verhaltensmuster sowie erlernte Reaktionsmuster zu öffnen und Angstreaktionen durch Vertrauen und Gewöhnung zu ersetzen. Je nach Stärke einer Angst kann das etwas Zeit in Anspruch nehmen. Sicher nützt eine Desensibilisierung Pferd und Mensch immer gleichermaßen. Ein entspanntes Pferd ist um Umgang viel angenehmer und schlussendlich auch beim Reiten ein sicheres Pferd.

Desensibilisierung Pferd: 10 Tipps

  1. Machen Sie sich ein vernünftiges Bild über die Situation und fragen Sie bei eigenen Unsicherheiten Pferdekenner und erfahrene Ausbilder.
  2. Gehen Sie die Desensibilisierung des Pferdes immer langsam an und steigern Sie die Reize und Herausforderungen.
  3. Arbeiten Sie rhythmisch, zyklisch und in Intervallen.
  4. Desensibilisieren Sie immer nur in kleinen Zeiteinheiten von 5 bis 15 Minuten. Bei Bedarf zwei bis dreimal täglich.
  5. Arbeiten Sie im Training mit Lob und Bestätigung. Verzichten Sie aber auf die Gabe von zu viel Leckerli.
  6. Machen Sie immer mal Pausen von mehreren Tagen oder sogar Wochen. In dieser Zeit vernetzt sich neu Gelerntes im Pferdegehirn.
  7. Vermeiden Sie generell Stress oder ein Aufheizen sensibler Pferde.
  8. Arbeiten Sie vor allem am Anfang nach der Devise, dass Sie unerwünschtes Verhalten ignorieren (wenn möglich, nicht kämpfen) und erwünschtes Verhalten verstärken. Achten Sie dabei unbedingt auf Ihr eigenes Mindset und Ihre Einstellung zu Erfolg und Misserfolg.
  9. Leidet ein Pferd an starken Ängsten, können Sie zusätzlich mit beruhigendem Mitteln wie Bachblüten oder CBD arbeiten.
  10. Arbeiten Sie bei starken Ängsten immer an einer langfristigen Desensibilisierung und nicht an schnellen Lösungen.

 

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